St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 622
Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Bd. 1: Abt. IV: Codices 547-669: Hagiographica, Historica, Geographica, 8.-18. Jahrhundert, Wiesbaden 2003, S. 222-223.
Handschriftentitel: , Weltchronik
Entstehungsort: ev. Lisieux
Entstehungszeit: 9. Jh.
Beschreibstoff:
Pergament.
Vermutlich Schafs-, ev. Ziegenpergament von mittlerer Qualität und nicht regelmässiger Beschaffenheit
Umfang:
IV + 517 Seiten
Format: 28,5 x 23 cm
Seitennummerierung:
Foliierung des 16. Jhs. mit schwarzer Tinte 1-70, endet im laufenden Text, mit div. Korrekturen. Tintenpaginierung I. v. A., wiederholt 353, von da an die Geraden rechts, ebenso 366, Gerade wieder links, springt 370 /380, von da an bis zum Schluss die Geraden rechts.
Lagenstruktur:
Quaternionen, ausser V17-36, p. 36 ohne ersichtlichen Grund leer, kein Bruch im Text, III[-1] 53-62, letztes Blatt herausgeschnitten, gleichzeitig Handwechsel, VI[-1] 63-84, nach p. 82 ein Blatt herausgeschnitten, p. 84 Ende des 11. Buchs, III17-124, Textende, II[-1] 173-178, do., III 339-350, do., III[-1] 351-359, letztes Blatt herausgeschnitten, III[-2] 400-407, nach p. 401 zwei Blätter herausgeschnitten, II 456-463, Handwechsel, III[-1] 480-489, nach p. 487 ein Blatt herausgeschnitten, IV[-2] 506-517, die letzten zwei Blätter fehlen. Zeitgenössische Lagenbezeichnung und -nummerierung a i bis o xiij (= p. 16-210), endet ohne ersichtlichen Grund bei Buch V.
Seiteneinrichtung:
Einspaltig
23/23,5 x 16,5/17,5 cm, 27 Z.
Schrift und Hände:
Nur die Partie p. 292-311 (Vorrede an Judith) leicht rubr. Karolingische Minuskel einer nordfranzösischen Gruppe von Schreibern des 9./1 Jhs. Als Auszeichnungsschrift erscheint eine sehr bescheidene Misch-Schrift mit unzialen Formen. Nachdem Grunauer (s. u.) noch vier Hände unterschieden hat, schreiben gemäss der Analyse und detaillierten Auflistung des Editors Michael I. Allen (s. u.) 11 Hände aus dem Umkreis oder dem eigenen bischöflichen Scriptorium des Autors, im gleichmässigen Turnus; vgl. vor allem folgende Partien ab: p. 1-84 (Lagen 15) elegante westfränkische Carolina, zeitweise rechtsgeneigt, kleiner, gedrungener Mittelkörper, hohe Oberlängen, verdickte Schäfte; zu vermerken das runde r, p. 1, 8. Z. v. o., p. 67 6. Z. v.u. Die p. 85-178 sind eine Partie häufigen, unklaren Wechsels, p. 179-332, ist wieder eine ziemlich einheitliche Partie; vermerkenswert ein Minuskel-a ähnlich dem cc-a, welches auch eine Flüchtigkeitsform des doppelstöckigen a sein könnte, vgl. p. 189 2. Z. v. o., p. 195 5. Z. v. o., 196 8. Z. v. u. und auch weiter unten passim, p. 242 ff., p. 333-517 wieder stark variable Partie mit häufigen Wechseln der sich ablösenden Hände.
Spätere Ergänzungen: Korrekturen von st. gallischen Händen des 10./11. Jhs. auf p. 22.
Einband:
Einband 9. und 18. Jh., Reste von ehemals braunem Leder auf Holz, halbmondförmige karolingische Laschen über den Kapitalien. Rücken im 18. Jh. mit Pergament neu bezogen und mit Messing- und Eisennägeln grob vernagelt, 2 Schliessen gotischer Art. Papierenes Spiegelblatt vorne und Vorsatz p. I -IV des späten 18. oder des 19. Jhs., auf dem hinteren Spiegel ein gleiches Blatt weggerissen.
Inhaltsangabe:
- (I-III) leer.
- IV Notiz I. v. A. über Wechsel der Hs. aus Klosterbesitz in die Sammlung Tschudis und Rückkehr in StiBSG.
-
1-517
Liber Historiarum
- (1-2) [Dedicatio]
- (2-3) [Prooemium]
- (3-6) Capitula libri primi
- (6-517) Textus. Am Schluss auf zwei Zeilen ein Nachtrag über die St. Galler Gründer Gallus und Otmar.
Provenienz der Handschrift:
In StiBSG wohl schon seit der Karolingerzeit (über Abt Grimald?), gemäss Allen (s. u.) wegen der griechischen Zusätze im zweiten Teil und diverser Korrekturen. Vgl. p. 517 auf den leergebliebenen 5. und 6. Zeilen von unten die Notiz des kalligraphischen Kanzlisten des 13. Jhs. über die st.gallischen Gründungen von 614 und 719, ferner auf dem pergamentenen hinteren Spiegel: Anno domini m cclij. natus est Conradus secundus Rex Jerusalem. et Sicilie Dux sueuie. Der Band weilte später vielleicht auswärts; Weidmann (1841), p. 388 identifiziert mit dem Kat. des 9. Jhs. (ist dort jedoch Nachtrag, vgl. MABK Nr. 16, p. 79). Durch Ausleihen an interessierte Gelehrte des 16. Jhs., bes. an Vadian und an den Basler Drucker Andreas Cratander, ev. 1532, dann durch Kauf, Ausleihe oder Mitnahme von Tschudi, kam der Codex nach auswärts, bis er im 18. Jh. mit dem Nachlass Aegidius Tschudi in die Abtei zurückkehrte; kein Stempel D. B. Reste einer vermutlich st.gallischen got. Titelzeile auf VD: Hystoria Frechulfi. Auf dem papierenen Vorsatz p. IV Vermerk I. v. A. mit schwarzer Tinte.
Bibliographie:
- Allen (s. u.), besonders Einleitung mit äusserer Beschreibung;
- Grunauer (s. u.), p. II-14. Die Charakterisierung der Hs. als »Deluxe«-Edition durch M. Innes und Rosemond Mckitterick, The writing of history, in: Carolingian Culture. Emulation and Innovation, Cambridge 1994, p. 212, ist nicht plausibel;
- Scarpatetti, Manuscrits francs a Saint-Gall, in: Vogler/Heitz/Heber-Surfin, Le rayonnement spirituel et culturel de l'abbaye de Saint-Gall, Paris 2000, p. 125-142;
- Veronika Von Büren, Une edition critique de Solin au IXe S., in: Scriptorium 50, 1996, p. 83: die Vegetius-Hs. Paris, BN Lat. 7383 wäre nach M. I. Allen von der gleichenSchreibergruppe wie unsere Hs.;
- Bischoff, Handschriftenarchiv (1997), p. 187. Zum Schicksal des Codex vom 16. bis zum 18. Jh.
- Bernhard Hertenstein, Joachim von Watt, Bartholomäus Schobinger, Melchior Goldast. Die Beschäftigung mit dem Althochdeutschen […] , Berlin 1975, p. 22 f. (Quellen und Lit.).