St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 553
Scherrer Gustav, Verzeichniss der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen, Halle 1875, S. 170-175.
Période: s. IX in.
Volume:
228 Seiten
Format: 8° maj. (23.5 u. 15 C.)
Type d'écritures et copistes: Von wenigstens 5 Schreibern, mit alter Korrektur.
Reliure: In altem (nicht dem ursprünglichen) Einband.
Sommaire:
- 1.
S. 2-115
Vita S. Columbani
(† 615) Verfasst laut S. 2 von , dem Lehrer des Schreibers (nämlich des Schreibers der Vorlage, nicht des Codex 553 selbst, da Jonas schon um 640 lebte). Gedruckt in Mabillon's Acta SS. Bened. II, 5-29. Verzeichniss anderer Hss. bei Hardy Descript. Catal. London 1862-65 No. 573-78.
Die St. Gall. Hs. (in 30 Kapp.; das letzte, vom Register p. 7 bis 10 nicht verzeichnete, mit einer besondern Rubrik) ist fehlerhaft in der Worttrennung und Orthographie z. B. libri brimi, fulgore migantem, aber von regelmässigem Schriftzug. (Note: S. 12-13 in Kap. 2 hinter den Worten: Hibernia insula extremo Oceano sita - folgen ohne Absatz und fortlaufend wie die Prosa geschrieben 16 dem Text nicht angehörige Hexameter, die vom 4ten Verse an durch einen Strich und die alte Randnote: hinc dimitte usque ipsum signum d. h. bis zum Schlusse, ausgeschieden sind. Dieses mittelalterliche Produkt (siehe z. B. girando v. 10), das vermuthlich vom Schreiber selbst herrührt, lautet:)
Expectat quae Titanis occasum, dum vertitur orbis
Lux umbrarum in immanes moles, quo truces
Latebras et occiduas pontum descendit in umbras
Colore et nimio passim crine crispanti
Pepli cano raptim quem dant cerula terga
Aequoris spumae accedunt et [corrig.: ad] litora sinus [add.: enim]
Ultimus terrarum nec mitem sinit carinam
Tremulo petentem salo dare nota litora nobis.
Flavus super haec Titan distendit opaco
Lumine Arcturi petitque partes girando;
Aquilonem sequens orientis petit ad ortum,
Ut mundus redivivus lumen reddat amoenum,
Sese mundo late tremulo ostendat et igne.
Sicque metas omnes diei noctisque peracta
Cursu et impletas suo lustrat candore terras,
Amoenum reddens orbem calore madentem.
Metzler hatte laut seiner Chronik (Cod. 1408 p. 64) eine 'Vita Columbani msc. ex monast. Bobiensi a me recepta a° 1611, quacum concordat ea quae in nostra bibliotheca reperitur etiam msc.' - 2. S. 115-118 (von gleicher Hand): Zwei Gedichte auf S. Columban; das erste: Clare sacerdos clues (lies: cluens - nicht: tu es, wie Metzler kopirt) auch in einer Pfäferser Hs. (s. XII) auf dem Stiftsarchiv, in Turin (Pertz Archiv IX, p. 609 und 611) und in Einsiedeln (No. 257); das zweite bei Mone Lat. Hymn. III, p. 255.
- 3.
S. 119-132
(andere Schrift und Pergament): Vita Attalae abb. II Bobiens.
(† 627), in 5 Kapiteln; und
S. 132-139: Vita Bertulfi, abb. III Bobiens. († 640) ohne Kapitelzahlen; beide bei Mabillon Acta II, p. 123 und 160. - 4. S. 139-150 >De monachis Ebobiensibus.< A plerisque etenim … (Mabillon l. c. p. 163, aber sehr verschieden.)
- 5.
S. 151-162
Lectio et
>Homilia lectionis eiusdem dicenda in festivitate sci Galli confes.<
Audiens a dno Petrus
Ist bis S. 157 identisch mit *Beda's Predigt auf S. Benedikt Opp. VII, 332; dann wird statt 'S. Benedicto' (p. 333 der Ausg.) 'S. Gallo' gesetzt und nach den Worten 'institutio florebat' (p. 333 Z. 23 von unten) ist die Hs. p. 158-162 ganz verschieden. Solche in der vordern Hälfte aus ältern Vorlagen kopirte Stücke mit originaler Fortsetzung sind im Mittelalter nicht selten. - 6. S. 163-164 (besonderer Eintrag von fremdartiger Hand): Genealogie des h. Gallus, 13 Zeilen; der h. Brigida, 8 Zeilen; des h. Patricius, 16 Z.; erstere beide aud dieser Hs. gedruckt bei Goldast Scriptt. I, p. 385-86 (Ed. 1) und in Monum. Germ. II, 34. Die von I. v. Arx bezweifelte Glaubwürdigkeit dieser Angaben vertheidigen Metzler in der Chronik und Greith Altir. Kirche S. 244-45.
- 7. S. 166-167 Cum mundus per inania (34 Hexameter auf S. Gallus, von anderer Hand als das Folgende).
- 8. S. 169-277 >Incipit liber primus de vita atque virtutibus b. Galli conf.< Fuit vir nobilitate pollens …–… etc - S. 211: Zweites Buch 'de miraculis' bis: laudetur, adoretur, regnans cum patre etc. (Aeltere vita S. Galli ohne Kapiteleintheilung, abgedr. in Monum. Germ. II, 5-21 [nebst Einl. 1-4, Facsimile zu p. 4 und den Versen p. 33] und in St. Gall. Mitth. XII, p. 1-61.)
Histoire du manuscrit:
- Die Seiten 165-228 sind ein besonderes Pergamentheft, dessen vorderste Seite ein Aussenblatt gewesen sein könnte; die Hand ist eine andere als in den übrigen Abtheilungen, doch sind 23 Zeilen auf der Seite wie im ganzen Band (ausgenommen S. 152 bis 62) und der Schriftzug erscheint nicht unregelmässiger - blos mit etwas mehr Ligaturen - als vorher, die Orthographie eher besser als in der Vita Columban's. I. v. Arx setzt die Hs. mit Recht in das IX. Jh. erste Hälfte. (Wegen der mangelhaften Zeitbestimmungen im IV. und I. Band von Pertz Archiv vgl. die Anmm. zu Cod. 635 und 547.)
- Dieser Text ist u. d. N. 'Wettinus in vita S. Galli' längst bekannt aus den Anführungen Goldast's und sämmtlicher frühern st. gall. Bibliothekare, auch selbst des I. v. Arx (in der Gesch. d. Ctns St. Gallen), welcher letztere ihn nur insofern wieder aufgefunden hat, als er ihn später in den Monum. Germ. für die Grundlage der Walafrid'schen Vita erklärte. Da Walafrid in seiner Vorlage (laut Praefatio Walafr.) den Ausdruck 'Altimannia' fand, während Cod. 553 überall 'Alta Germania' schreibt, da ferner Schriftcharakter und Orthographie dieses Codex die des IX. und nicht des VIII. Jh. sind, so will man ihn jetzt für eine verbesserte Kopie der ursprünglichen, dem Walafrid vorliegenden Arbeit ausgeben. Wie weit nun diese 'Verbesserung' ging, ist in Abgang des Originals unbekannt; man hat deshalb ebenso guten Grund, mit Metzler und allen Uebrigen den Cod. 553 nicht für Walafrids Vorlage zu halten und den Schreiber desselben, wenn auch nicht ohne weiteres als Wettin, doch als einen selbständigen Bearbeiter der verlornen Vita prima neben Walafrid anzusehn. Jener gemeinsame Grundtext des sogen. Wettin und des Walafrid wird von allen Frühern ein Erzeugniss der Schotten genannt; so sagt die alte unbenannte Vorrede zu Notker's Vita S. Galli (Weidmann Gesch. p. 485), Gozbert habe den Walafrid beauftragt, ‘vitam S. Galli a Scotis semilatinis corruptius scriptam’ umzuarbeiten; und Metzler in seiner Chronik (Cod. 1408 p. 4) schreibt: ‘Nobili loco b. Gallum progenitum aeque omnes, qui Galli res sunt prosecuti, confirmant, cum primis vero Scoti illi patres nostri, qui ejus acta ex b. Magni et Theodori ipsis nimium b. Patris discipulorum ore primi indeque alii, qui Scotos ipsos secuti, eadem conscripsere, Walafridus nempe Abb. Aug., Notkerus noster Balbulus, Wettinus et Ratpertus tractantur’. Derselbe sagt p. 124: ‘Fuerunt denique Othmari tempore ('vel certe non multo post' fügt er De vir. ill. bei Pez hinzu) in coenobio S. Galli nonulli Scoti … quos S. Notkerus in vita S. Galli ait scripsisse Acta S. Galli, quam quidem lucubrationem nos primam vitam appellamus eamque Walafridum secutum supra diximus. Exstat ea in bibliotheca nostra in Codice membranaceo, qui antiquitate nulli profecta cedat usque adeo, ut archetypon plane existimem, in quo et profitentur authores se divi Galli acta ex SS. Magni et Theodori ore describere.’ - Letzteres thut nun zwar der Codex 553 auch (siehe p. 217 oder Ed. G. Meyer p. 50); aber Metzler, der diesen Codex überall als 'Wettinus' excerpiert und ohnehin ein Schriftverständiger war, kann unmöglich ihn unter seinem 'Archetypon' verstehn, welches er selbst noch sah, jetzt aber nicht mehr existirt und den Grundtext für Walafrid bildete. Dass der erste Autor einer vita S. Galli wirklich Othmar's Zeitgenosse war, geht aus Cod. 553 p. 224 (Ed. Meyer p. 57) hervor, wo er sich einen Augenzeugen von Wundern in den Tagen Carlomans des Majordomen nennt; eine zweite Stelle (p. 226 Cod. p. 60 Meyer), die Pertz auf den König Carloman a° 771 bezieht, hat Arx selbst gleichfalls vom Majordom, also von Othmar's Zeit c. 745 verstanden. Dass der Schreiber oder Bearbeiter von Cod. 553 ein Alemann und kein Schotte war, erhellt allerdings aus dem Wort 'nostratibus' p. 170 Cod. (p. 2 Meyer); dies verbietet aber nicht, den Autor des verlornen Originals, nach dem ältesten Zeugniss in der Vorrede zu Notker's Vita S. Galli, für einen Schotten zu halten. Woher Metzler den Namen Wettin für Cod. 553 entnahm, sagt er nicht; vor ihm nennt ihn kein uns noch erhaltenes Zeugniss. Einen Zweifel äussert er nur hinsichtlich der Heimat (De ill. vir. Pez Thes. I, p. 564): ‘Porro eandem etiam vitam scripsit Wettinus quidam, sed num ille D. Galli monachus fuerit, ignoro. Claruit Gozberto abbate.’ Goldast citirt den Cod. 553 gleichfalls immer als Wettin (II, 196 Ed. 1), ohne eine Quelle anzugeben, vermuthlich also auf Metzler's Autorität; seine Auszüge (S. 385, 386 u. ff.) stimmen ebenso wörtlich mit Cod. 553 überein, als diejenigen von Metzler. Der spätere Bibliothekar Schenk führt in seinem Katalog Cod. 1280 p. 87 die ältere Biographie abermals u. d. N. 'Vita Wettini' auf; desgleichen endlich Kolb Cod. 1401 p. 164: ‘S. Galli vita, authore Wetino Augiensi, an nostro? nam duo diversi erant, necdum compertum habeo.’ (Diese zwei Zeilen sind übrigens Alles, was Kolb von der ganzen No. 553 beibringt.)
- Die im ältesten Stiftskatalog No. 728 p. 14 von erster Hand eingetragene 'Vita SS. patrum Columbani et Galli in vol. 2' d. h. in zwei Exemplaren, mit der Randnote saec. X. 'antiq. dictata' d. h. alter Abfassung soll nun nach Arx wiederum die No. 553 sein, da letztere ebenfalls beide Vitae enthält, die der Katalog angibt. Weil aber hier von zwei Exemplaren die Rede ist, so muss man wohl auch an das alte Original denken. Dazu nöthigt überdies der Katalog von 1461 in Cod. 1399 (Weidm. Gesch. p. 411), welcher ausdrücklich eine doppelte Abschrift notirt, erstens unter der Sign. D, 10: Vita S. Columbani et prima descriptio vite et miraculorum SS. Galli et Othmari - und zweitens R. g.: Vita SS. Columbani et Galli ejus discipuli. Metzler († 1639) ist der letzte, der zwei Vitae neben denen von Walafrid, von Notker und neben der metrischen kennt; Schenk († 1706, also vor dem Zürichkrieg) verzeichnet nur noch Ein Exemplar, ebenso Kolb und die Neuern. Alles Gesagte zeigt, dass mit Unrecht Cod. 553 seit I. v. Arx die 'Vita prima' genannt wird. Zur Beschaffenheit der Hs. passte es ebensogut, wo nicht besser (bestimmte Zeugnisse vorausgesetzt), im Wettin, der 824 starb, den Verfasser zu erkennen.