St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 453
Titre du manuscrit: Kapiteloffiziumsbuch
Origine: St. Gallen
Période: Ende 12. Jahrhundert; seit der Datierung durch P. Ildefons von Arx (p. C) gilt 1190 als ungefähres Entstehungsjahr
Support: A–F Papier; 1–242 Pergament; 243–246 + Y–Z Papier
Volume:
VI + 242 pp. + VI
Format: 31.5 x 20 cm
Numérotation des pages: Neuzeitliche Paginierung 1–241; Bleistiftpaginierung 20. Jh. A–F, 242–246, Y–Z
Composition des cahiers:
Quaternionen
Mise en page:
Blindliniierung, meist 32 Zeilen; Schriftspiegel nach Inhalt wechselnd, p. 2-3 und 7-125 zweispaltig, p. 126-204 (Martyrolog-Nekrolog) einspaltig mit nachträglicher Randspalte für Stiftungsnotizen
Type d'écritures et copistes: Übergang von karolingischer Minuskel zu gotischer Buchschrift; Verbrüderungsverträge, Lektionar, Regel, St. Galler Annalen und Grundbestand des Martyrolog-Nekrologs von gleicher Hand; zahlreiche Nachträge von späteren Händen
Décoration: Rubriziert, Titel und Initialen rot, selten pflanzliche und tierische Ornamente (p. 19, 65, 67, 73) oder menschliche Gesichter und Gestalten (p. 20, 23, 78), teilweise wohl von späterer Hand hinzugefügt (p. 237 interlineare Zeichnung eines Teufels); Kalenderdaten im Martyrolog-Nekrolog sowie Jahreszahlen in den Annalen rot; Tabellen im Computus mit roten Linien.
Ajouts: Zahlreiche Nachträge von späteren Händen, v.a. im Bischofs- und Äbtekatalog sowie im Martyrolog-Nekrolog; p. 19 und p. 209 St. Galler Exlibris-Stempel von Fürstabt Diethelm Blarer (1530–1564)
Reliure:
Ledereinband auf Holz; Messingschliessen, Spuren von Beschlägen; Abnutzungen der ersten und letzten Seite (p. 1, 242) weisen darauf hin, dass diese während längerer Zeit den Umschlag bildeten
Sommaire:
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Kapiteloffiziumsbuch, auf dem Rücken neuzeitliche Beschriftung Martyrolog & Necrolog cum aliis n…
(p. C/E) Neuzeitliches Inhaltsverzeichnis in lateinischer Sprache von Stiftsbibliothekar P. Ildefons von Arx (1755-1833) - (p. 2-3) Verzeichnis der Bischöfe von Konstanz (739–1322), von mehreren Händen fortgesetzt
- (p. 3) Verzeichnis der Äbte von Reichenau (724–1342), von mehreren Händen fortgesetzt
- (p. 4) Notiz zum Klosterbrand von 1314; von gleicher Hand Jahrzeitstiftung von Konrad Kuchimeister (1319), der nach dem Brand den Wiederaufbau des Klosters geleitet hatte; Liste von abgabepflichtigen Ortschaften; Notiz zum Tod des Mönchs und Steinmetzen Johannes Ostertag (1452)
- (p. 7-18) Verbrüderungsverträge, vgl. Cod. Sang. 915; Anfang verloren, da an dieser Stelle ein Blatt (p. 5-6) fehlt; dazwischen auf p. 13-14 und 17 Katalog der Äbte von St. Gallen, von mehreren Händen fortgesetzt; p. 14-15 Verzeichnis der Mönchs- und Nonnenklöster, die ins Gebetsgedenken eingeschlossen sind; p. 16 Neuweihe des Gallus-Altars (1486); p. 17-18 Verordnungen zum Anzünden von Kerzen an den Altären und in den Kapellen
- (p. 19-73) Lectionarium homiliarum Lektionar mit Homilien für Sonntage, Hochfeste, bestimmte Heiligenfeste und Kirchweihe im Kapitel; den Schwerpunkt bilden Lesungen der Paulusbriefe
- (p. 19-58) Proprium de tempore beginnend mit Dom. XVII p. Pent., das unten (p. 55) fehlt; es folgt der eigentliche Anfang >Incipiunt ad capitulum lectiones< … mit Dom. IIII ante nat. Dni.
- (p. 59-65) Proprium de sanctis mit einer Auswahl von Heiligenfesten von Ende Juni bis Ende November
- (p. 66-73) Commune sanctorum zuletzt (p. 72-73) In dedicatione ecclesie…
- (p. 73-125) Regula [sci. Benedicti]: >In Christi nomine incipit prologus regule patris eximii beatissimi Benedicti abbatis< auf der Grundlage von Cod. Sang. 915
- (p. 125-204) Martyrolog-Nekrolog >In nomine domini nostri Iesu Christi incipit martylogium [sic] per circulum anni. Ianuarius habet dies XXXI, lunam XXX< Es handelt sich um eine Zusammenführung von Martyrologium und Nekrolog aus Cod. Sang. 915. Von der Anlagehand wurden unter jedem Datum des Kalenders zunächst die betreffenden Märtyrer und sodann – mit einem Abstand von ein bis zwei Zeilen – die Verstorbenen aus dem alten Nekrolog eingetragen, als solche kenntlich gemacht durch den konsequent verwendeten Vermerk Obitus. Auf den freien Zeilen und auf dem Seitenrand haben diverse spätere Hände weitere Verstorbene eingetragen, ab dem 14. Jahrhundert zunehmend mit Bemerkungen zu den als Jahrzeiten gestifteten Gütern und deren Verteilung, teilweise ed. in MGH Necr. I, S. 462–487; St. Gall. Mitth. XI, S. 29–64.
- (p. 205-211) Computus teilweise aus Cod. Sang. 915; auf p. 208-209 am unteren Seitenrand von späterer Hand Verzeichnis der St. Galler Kapellen und Altäre, die 1495 geweiht wurden
- (p. 211-234) St. Galler Annalen, auf der Grundlage von Cod. Sang. 915 (Annales Sangallenses majores), aber mit einem Zusatz zum Jahr 1180 auf p. 235 (ed. in MGH SS I, S. 71); in einer Randnotiz auf p. 211 von der Hand des Heidelberger Professors Franz Josef Mone (1796–1871) als Annales Hepidanni bezeichnet, d.h. fälschlich dem Mönch Hepidan zugewiesen, der als Schreiber im 11. Jahrhundert wirkte
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(p. 236-241)
Einkünfteverzeichnisse, Urkundenabschriften und Stiftungsnotizen von verschiedenen Händen:
- (p. 236) Hec sunt notata servitia … Hic notantur denarii ad cellerarium pro vino pertinentes …
- (p. 237-238) Urkunde des St. Galler Abts Walther von Trauchburg (1244)
- (p. 238) De curia abbatis cottidie datur … Quando laici dant vinum … Schenkung von Adelheid Furer an den Bau des Kirchenchors (1439)
- (p. 239) Hec notata et constituta prebenda de cellerario …
- (p. 240) Notizen zu Stiftungen von Abt Berchtold von Falkenstein (1272), Werner Hunt (1301) und Heinrich Erb (1302)
- (p. 240-241) Urkunde des St. Galler Abts Georg von Wildenstein (1360-1379), flüchtig geschrieben und stark abgenutzt; in verschiedenen Schriften (Federproben?) Formulierungen zum Gedenken an Märtyrer, Ordensmitglieder und Wohltäter
- (p. 242) leer
- (p. 243-244) Gedrucktes Verzeichnis der Patres und Fratres des Klosters St. Gallen mit Geburts-, Profess- und Weihejahren (1757): Catalogus reverendorum dd. patrum & fratrum principalis monasterii S. Galli …
- (p. 245-246) Gedrucktes Verzeichnis der Patres und Fratres des Klosters St. Gallen mit Geburts-, Profess- und Weihejahren (1798): Catalogus reverendorum dd. patrum et fratrum principalis monasterii S. Galli, ordinis S. Benedicti …
- (p. Y) Restaurationsvermerk von 1971 (Stempel)
- (p. Z) leer
Origine du manuscrit:
- Bei der vorliegenden Sammelhandschrift handelt es sich um eine Abschrift, Überarbeitung, Weiterführung und Erweiterung von Cod. Sang. 915. Wie sein Vorgänger lässt sich der Codex als Kapiteloffiziumsbuch ansprechen. Darin enthalten sind sämtliche wichtigen Schriften für die Begehung des Kapiteloffiziums, vor allem Regel, Martyrolog und Nekrolog. Darüber hinaus enthält der Codex weitere damit zusammenhängende Dokumente, die im Lauf der Zeit immer wieder ergänzt wurden, etwa Verbrüderungsverträge, Stiftungsnotizen und Einkünfteverzeichnisse, aber auch Annalen, bei deren künftiger Beurteilung es zu fragen gilt, inwiefern sie in die Liturgie einbezogen waren – immerhin betrifft ein grosser Teil ebenfalls Todesnachrichten sowie Kirch- und Altarweihen (teilweise durch Zeigehändchen besonders hervorgehoben). Die fliessenden Übergänge zwischen den einzelnen Bestandteilen verdeutlichen, dass das Buch als Einheit konzipiert war. In seiner Gesamtheit bietet der Codex einen interessanten Einblick in die St. Galler Liturgie am Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter.
- Originell ist am vorliegenden Exemplar die Verbindung von Martyrolog und Nekrolog sowie die Integration des Festtagslektionars, das ebenfalls zur Lesung im Kapitel bestimmt war. Die Handschrift war damit ganz auf den Gebrauch in der Kapitelversammlung ausgerichtet. Demgegenüber wurden die weiteren Mönchsregeln aus Cod. Sang. 915 hier weggelassen, da sie für das Kapiteloffizium im benediktinischen Kloster keine praktische Relevanz besassen.
- Warum das alte Kapiteloffiziumsbuch in Cod. Sang. 915 gegen Ende des 12. Jahrhunderts durch den hier vorliegenden Codex ersetzt wurde, lässt sich nur vermuten. Zweifellos wurde der Platz für neue Einträge im alten Nekrolog allmählich knapp; beachtenswert ist aber auch die im neuen Codex vorgenommene Zusammenführung von Martyrolog und Nekrolog, die vielleicht darauf hindeutet, dass das Kloster die verstorbenen Mitglieder und Wohltäter näher an die Märtyrer und Heiligen heranrücken wollte. In dieser Form wurde das Kapiteloffiziumsbuch und vor allem das darin enthaltene Nekrolog bis ins 15. Jahrhundert weiter benutzt, wie zahlreiche spätere Einträge belegen.
Bibliographie:
- Scherrer , S. 148
- MGH Necr. I, S. 462–487
- MGH SS I, S. 71–73
- St. Gall. Mitth. XI, S. 29–64
- Bruckner III, S. 105f.
- Johanne Autenrieth, Der Codex Sangallensis 915. Ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte der Kapiteloffiziumsbücher, in: Kaspar Elm, Eberhard Gönner, Otto Herding u. Eugen Hillenbrand (Hg.), Landesgeschichte und Geistesgeschichte. Festschrift für Otto Herding zum 65. Geburtstag (Stuttgart 1977), S. 42–55.
- Otto P. Clavadetscher, Das Totengedächtnis und sein Wandel im Raume St. Gallen, in: Gerd Althoff, Dieter Geuenich, Otto Gerhard Oexle u. Joachim Wollasch (Hg.), Person und Gemeinschaft im Mittelalter, Karl Schmid zum 65. Geburtstag (Sigmaringen 1988), S. 393–404, bes. S. 396–399.
- Dieter Geuenich, Liturgisches Gebetsgedenken in St. Gallen, in: Peter Ochsenbein (Hg.), Kloster St. Gallen im Mittelalter. Die kulturelle Blüte vom 8. bis zum 12. Jahrhundert (Stuttgart 1999), S. 83–94.
- Rainer Hugener, in: Peter Erhard u. Jakob Kuratli Hüeblin (Hg.), Bücher des Lebens – lebendige Bücher (St. Gallen 2010), S. 319.