Euw Anton von, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, Band I: Textband, St. Gallen 2008 (Monasterium Sancti Galli, Bd. 3), S. 531-533, Nr. 158.
Im Graduale Initialen in Minium, fortlaufende Zeilen in Uncialis u. Rustica, alle Gesänge neumiert. Im Lektionar-Teil Titel- u. Initialzierseite sowie die erste Initiale p. 211 in Gold, Minium, Grün, Blau mit Weiß, fortlaufende Zeilen in Capitalis u. Uncialis mit Minium. Zu den Festtagen des Kirchenjahres Initialen in Minium, sonst Minium-Majuskeln.
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p. 2-194
Teil I, Graduale
p. 1 Tabelle zum Auffinden des Mondalters an den Kalenden der Monate im Cyclus decemnovennalis, waagerecht die Zeilen der 19 Jahre des Cyclus, senkrecht die Kolumnen der 12 Monate, in den Quadraten die Zahlen für die Tage des Mondalters an den Kalenden (= 1. Tag des Monats)
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(p. 2)
Titelseite in Rustica mit der Würdigung Papst Gregors d. Gr. (590-604) als Autor des Antiphonars:
Gregorius praesul meritis et nomine dignus,
Unde genus ducit, summum conscendit
honorem.
Quem vitae splendore sue mentisque sagaci
Ingenio potius compsit quam comptus ab illo est.
Ipse patrum monimenta sequens renovavit et
auxit
Carmina in officiis retinetque circulis anni:
Quae clerus dulci Domino modulamine solvat
Mystica dum vitae supplex libamina tractat.
Suaviter hec proprias servat dulcedo nitelas.
Si quod voce sonat, fido mens pectore gestet,
Nec clamor tantum domini sublimis ad aures
Quantum vox humilis placido de corde
propinquat.
Haec iuvenum sectetur amor maturior aevo
Laudibus his instans aeternas tendat ad horas.
(MGH Poet.lat. IV, 1070; Schaller/Könsgen, Nr. 5724; vgl. Nr. 153) Dom. IIII. de adventu Dni. - (p. 3) A. A(d te levavi), das Binnenmotiv mit knochengelenkförmigen Seitentrieben steigt aus dem linken Schaft auf, umwächst den Buchstabenkörper u. endet in einer Kelchblattblüte
- (p. 88) Dominica in Palmis. D(omine ne longe), unsymmetrische Knotung durch Lösen des inneren Bandes, Schnallen, das Binnenmotiv wächst aus dem linken Band des Schaftes
- (p. 102) R(esurrexi), getreppter Schaft, Bogen nach innen gefiedert, zwischen Bogen u. Abstrich Knoten
- (p. 118) V(iri Galilei), linker Schenkel getreppt, aus dem rechten wächst als Binnenmotiv ein Blatt
- (p. 121) S(piritus Domini), in der Mitte beringt, zwei Schnallen
- (p. 125-157) abgekürztes Proprium de sanctis von Marcellinus u. Petrus - Thomas
- (p. 145) Verenae, Magni, Gorgonii
- (p. 150) Vigilia s. Galli
- (p. 151) Nat. sci. Galli, Octava s. Galli
- (p. 153) Vigil. s. Otmari, In natale ipsius
- (p. 154) Oct. sci. Otmari
- (p. 157) In nat. s. Thome
- (p. 161) Dom. I. p. Pent. D(omine in tua) misericordia
- (p. 172) Dom. vig[esi]ma. tertia
- (p. 173-176) Incipiunt Alleluiae Dominicales per circulum anni canendae
- (p. 177-184) verschiedene Messen
- (p. 185-191) Commune sanctorum
- (p. 192-194) verschiedene Lesungen u.a. in festivitate sci. Pauli.
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(p. 2)
Titelseite in Rustica mit der Würdigung Papst Gregors d. Gr. (590-604) als Autor des Antiphonars:
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p. 195-845
Teil II, Lektionar,
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(p. 195-209)
Vorspann
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(p. 195-201)
(Wochentagslesungen)
- (p. 195) Dom. de s. Trinitate, F(ratres. Gaudete)
- (p. 202-204) (Ev. scdm. Mt.) Liber generationis
- (p. 205) (Lectio zu) Clementis papae (Nachtrag 12. Jh.)
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(p. 206-208)
Incipit prologus libri comitis Hieronimi presbiteri missus ad Constantium
- (p. 206) Q(uamquam licenter), Buchstabenkörper aus vier Regenbogenforellen, elegante Cauda
- (p. 209) In n. sce. Marie Magdalene. In lectulo meo (Ergänzung 12. Jh.)
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(p. 195-201)
(Wochentagslesungen)
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(p. 210-845)
Lektionar
- (p. 210) Titelseite mit ganzseitiger Initiale I(n nomine Dni. in hoc volumine continentur lectiones utriusque testamenti tam solemnibus quam etiam privatis diebus congruenter aptatae. In vigil. natal. Dni. Lectio ep. be. Pau. apli. ad Romanos. Frs.), Buchstabenkörper aus zwei Bändern mit Fuß u. Krone als Flechtbandknoten, enges, aus den Endknoten auf- u. abwachsendes, die Bänder füllendes u. umschlingendes Flechtband mit stumpfen Seitentrieben, im Fuß, der Mitte u. der Krone runde Aussparungen mit Cäsaren-Münzbildern, das untere en face, die oberen im Profil
- (p. 211) P(aulus servus Ihu. Xpi. vocatus) ganzseitige Initiale mit 5 Knoten im Schaft, im Bogen unsymmetrischer Mittelknoten durch Lösen des inneren Bandes, der Bogen entwächst einer auf dem Kopf stehenden Menschenmaske, über ihr ein geflügelter Drache, aus dessen Schlund, seitlich über dem Text sich ausdehnend eine Ranke wächst, dünn wachsend u. kleine Blattformen treibend, als Binnenmotiv eine blaue, weiß gehöhte Blüte im grünen Grund
- (p. 217) In die nat. Dni. M(ultifariam)
- (p. 218) I(n principio)
- (p. 226) (In octava Dni.). P(ostquam consummati), das linke Band des Schaftes löst u. kreuzt sich, bildet einen nach innen gefiederten Bogen, das Binnenmotiv entwächst dem rechten Band des Schaftes, Schnalle
- (p. 463) In Sabbato sco. Paschae I(n principio creavit)
- (p. 489) (In die sco. Paschae) ad missam S(i conresurrexistis), das rechte Band nach innen gefiedert, Schnallen, an den Enden Rosetten
- (p. 490) Dom. Paschae U(espere autem sabbati), linker Schaft geschwungen u. zugespitzt, festes Binnenmotiv, Rosetten an Fäden
- (p. 490) Dom. Pasche. E(xpurgate vetus fermentum), das linke Band nach innen gefiedert, Blüten an Fäden
- (p. 491) M(aria Magdalena et Maria Iacobi)
- (p. 531) In die ascensionis Dni. nri. P(rimum quidem sermonem), oben offener Bogen mit Rosette, elegante Drei- u. Sechsblätter am Schaft
- (p. 532) R(ecumbentibus), Bogen nach innen gefiedert, Schnallen
- (p. 538) In vig. Pentecostes. I(n diebus illis. Cum Apollo esset Corinthi), balusterförmiger Buchstabenkörper, vegetabil verziert
- (p. 539) I(n illo temp. Si diligitis me mandata), wie p. 538
- (p. 540) Pent. C(um complerentur dies)
- (p. 541) I(n illo temp. Si quis diligit me sermonem meum)
- (p. 560-687) Sonntage nach Pfingsten mit Wochentagen
- (p. 715-762) Proprium de sanctis von Andreas (30.10.) - Allerheiligen (1.11.)
- (p. 715) De nataliciis scorum. In vigilia s. Andreae. B(enedictio Dni. super caput iusti), im Schaft eckige Schlinge in der Mitte durch Lösen des äußeren Bandes, oben u. unten Schnallen, in den Bogen Vierpässe u. Schnallen, aus den Enden der Bogen, die sich in der Mitte überkreuzen, wachsen an Fäden Blätter u. Blüten
- (p. 751) In nativitate s. Mariae. D(ns. possedit me)
- (p. 763-818) Commune sanctorum
- (p. 763) In vig. omnium aplor. B(eatus vir qui inventus est sine macula), nach innen spitz eingezogene Bogen (im merowingischen Stil)
- (p. 818) In dedicatione ecclesie. V(enit angelus et locutus est)
- (p. 824-845) Votivmessen.
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(p. 195-209)
Vorspann
- Die Hs. besteht aus zwei künstlerisch keineswegs konformen Teilen. Der Vorspann des Lektionars einschließlich seiner Titel- u. Initialzierseite (p. 195-211) erweckt mit seinen Initialen in Gold u. Deckfarbenmalerei den Eindruck, als entstammten sie dem 10. Jh. u. gehörten zum Umkreis des Brüsseler Sakramentars 1814-16 (Nr. 141), was etwa die Komposition von p. 211 mit der Zierseite P(aulus) hier u. fol. 24r mit der Zierseite P(er omnia) dort vorerst bestätigen mag. Doch zeigen die Einzelheiten wie beispielsweise die «byzantinische Blüte» im P(aulus) p. 211, dass es sich hier nur um die Aufnahme einer Vorlage aus der Zeit der Ottonen im letzten Viertel des 10. Jh. handelt. Typisch für jene Zeit ist die Abbildung von Goldmünzen mit Cäsarenporträts auf Zierseiten u. Initialen, denen man in Werken des Gregor-Meisters oder in der Kölner ottonischen Malerschule begegnet. Tatsächlich bildet aber der II. Teil insgesamt eine Vorstufe etwa zum Graduale-Sakramentar Cotescalcs in Sang. 338 (Nr. 161), das die «byzantinischen Blüten» voll ausgebildet einsetzt. Auch die übrigen, nur in Minium gezeichneten, sehr imposanten Initialen dieses Lektionar-Teils sind der Reflex einer älteren Vorlage, die, wie die balusterförmigen Initialen I(n diebus) p. 538 u. I(n illo tempore) p. 539 verraten, in das 10. Jh. zurückführen. Für die retrospektive künstlerische Tendenz in diesem Teil der Hs. spricht auch das Motiv der gegenständigen Fische am Q(uamquam) p. 206 sowie denn auch der Hieronymus-Prolog diese Hs. mit dem St. Galler Lektionar Zürich C 77 fol. 8v-10r (Nr. 110) u. dem Epistolar Berlin theol. lat. qu. 1, fol. 1v-3v (Nr. 149), verbindet.
- Im Stil anders sind die Minium-Initialen des I. Teils der Hs. Sie stehen unmittelbar in der Tradition von Hss. des 10. Jh. wie Sang. 342 (Nr. 147), mit dem sie beispielsweise die Auffiederung der Buchstabenkörper gemeinsam haben. Die Kelchblattblüte des A(d te levavi) p. 3 im Sang. 374, die der entsprechenden Blüte am P(raeteriens) fol. 44r im Barb. lat. 711 (Nr. 147) vergleichbar ist, zeigt, dass die Vorbilder von Sang. 374 um 1000 in St. Gallen zu suchen sind.
- Scherrer, S. 127.
- Merton, S. 81, Taf. LXXXVI.
- Bruckner III, S. 99.
- Arlt, Liturgischer Gesang, in: Kloster St. Gallen, S. 142.